Interreligiöse Bildung
Interreligiöse Bildung gewinnt sowohl im öffentlichen als auch im religionspädagogischen Diskurs zunehmend an Bedeutung. Die österreichische Gesellschaft ist religionsplural geprägt, d.h. im täglichen Leben begegnen sich Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Weltanschauungen.
In diesem Kontext kann interreligiöse Bildung als Teilbereich der religiösen Bildung einen bedeutenden Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben in Vielfalt in der Gesellschaft leisten. Vor allem die Institution Schule sieht in diversen Lehrplänen vor, in Bezug auf soziales Lernen insbesondere die Entwicklung von Kontaktfähigkeit, Toleranz, Konfliktmanagement oder Interreligiosität als Beiträge zu Inklusion, Friedenserziehung oder Gewaltprävention in das Bildungsangebot zu integrieren. Diese gesellschaftliche und politische Notwendigkeit benennt der Staat etwa durch Bildungsziele, wonach die Schüler:innen gemäß Artikel 14 (5a) B-VG dahingehend zu befähigen sind, "dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen" zu sein. Dafür hat die österreichische Schule gemäß § 2 SchOG die Aufgabe, "an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken". In diesem Kontext hat der konfessionelle Religionsunterricht die Aufgabe, interreligiöses Lernen als einen Teilbereich der religiösen Bildung zu fördern. Dabei kann der konfessionelle Religionsunterricht um Lernformen ergänzt werden, die eine Begegnung unterschiedlicher Religionen unter Begleitung von dementsprechend qualifizierten ReligionslehrerInnen - gegebenenfalls im Teamteaching - ermöglichen.
Begriffsannäherung
Interreligiöse Bildung ist im Allgemeinen eine Dimension von Bildung, die sich auf die Wahrnehmung der eigenen und anderer Religionen sowie auf die Religiosität unterschiedlicher Menschen bezieht, ein dialogisches Verhältnis auf Augenhöhe anstrebt und dabei versucht, das Potenzial von Vielfalt für ein wechselseitiges Begegnungslernen fruchtbar zu machen. Interreligiöse Bildungsprozesse nehmen das Phänomen religiöser Pluralität ernst und versuchen, durch Lehr-/Lernprozesse in Begegnung Wissen über die andere und die eigene Religion unter Einbeziehung der subjektiven religiösen Praxis sowie der je eigenen Biografie zu vermitteln. In interreligiösen Lernprozessen sollen Haltungen eingeübt werden, die zu einem Umgang in Toleranz und Respekt befähigen, und Handlungsfähigkeiten erlernt werden, die es ermöglichen, einen gleichberechtigten Dialog zu führen sowie Differenzen auszuhalten. Der interreligiöse Austausch kann helfen, sich der eigenen Vorurteile über "die Anderen" bewusst zu werden. Eine (partielle) Perspektivenübernahme kann gelingen, wenn die Lehrkraft mit Vorbildwirkung vorangeht, die Begegnung und das Kennenlernen des Gegenübers didaktisch aufbereitet ist. Bleibende Fremdheit und Differenzen zwischen den unterschiedlichen religiösen Orientierungen dürfen nicht zugunsten einer vorschnellen Harmonisierung ausgeblendet werden, sondern gerade diese sind besondere Lernchancen. Die Schule wird dann als ein Ort für ein friedliches und konstruktives Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft erfahrbar.
Voraussetzungen
Interkulturalität und Interreligiosität sind schulische Herausforderungen, die es pädagogisch zu bearbeiten gilt. In interreligiösen Lernprozessen kann die Begegnung mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen didaktisch fruchtbar gemacht und Vielfalt erlebbar werden. Interreligiöse Begegnungen bedürfen jedoch bestimmter Voraussetzungen, damit interreligiöses Lernen sinnvoll angeregt werden kann. Neben konkretem Wissen in Bezug auf die eigene Religion und - zumindest anfanghafter - Erfahrungen persönlicher Religiosität braucht es auch bestimmte Haltungen und Einstellungen der Lehrenden und Lernenden. Zu nennen sind etwa Dialogbereitschaft sowie der Wille der Lehrenden und Lernenden unterschiedlicher Religionen von- und miteinander auf Augenhöhe zu lernen, eine theologische und säkulare Offenheit sowie ein reflektiertes Verhalten zur Wahrheitsfrage. Darüber hinaus braucht es die partielle Fähigkeit des "In-sich-hineinversetzen-könnens" in Andere, damit Vielfalt als Potenzial wahrgenommen wird. Neben diesen grundsätzlichen Bedingungen für gelingendes interreligiöses Lernen gibt es Voraussetzungen, die spezifisch von interreligiös agierenden Lehrpersonen erfüllt werden sollen. Anzuführen sind etwa eine kritisch fundierte theologische Kenntnis der eigenen als auch Grundkenntnisse der anderen Religion, eine ausgeprägte hermeneutische Kompetenz hinsichtlich des Verstehen-Könnens der im Schulkontext auftretenden Probleme sowie die notwendige Sensibilität, um die Lebenswelt der SchülerInnen ernst nehmen zu können. In interreligiösen Lernprozessen steht nicht das kognitive Erfassen und Analysieren von Themen und Problemen an erster Stelle, sondern das Erschließen von neuen Wegen, das den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, Religion in ihrem unmittelbaren Lebenszusammenhang in ihren vielfältigen Ausdrucksformen wahrzunehmen und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern.
Interreligiöse Lernprozesse
Interreligiöse Lernprozesse versuchen ein möglichst authentisches Kennenlernen der anderen Religion zu schaffen. Vor allem die Begegnung von SchülerInnen und Lehrpersonen unterschiedlicher Religionen ermöglicht tiefe emotionale und persönliche Einblicke in die andere Religion. In Begegnungen können SchülerInnen gemeinsam von- und miteinander lernen. Begegnung ist aber nicht Lernvoraussetzung, sondern eine Lernmöglichkeit, die für interreligiöse Lernprozesse in der Schule genutzt werden kann und somit Teil der Lernumgebung wird. Ein solcher Austausch basiert einerseits auf fundierter, offener Kommunikation und direkter Interaktion, und andererseits auf der didaktischen Aufbereitung von themen- und erfahrungsbezogenen Unterrichtseinheiten. Dementsprechend sind interreligiöse Lernprozesse inhaltlich geprägt und drehen sich stets um die 'eigene' und die 'fremde' Religion sowie um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dabei werden die jeweiligen religiösen und interreligiösen Inhalte angesprochen, wahrgenommen und erkannt sowie verstanden, begründet und reflektiert. In interreligiösen Lernprozessen werden demnach nicht nur Kompetenzen angeeignet, sondern auch Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, eine Reflexion der eigenen Haltungen eingeübt und religiöses Wissen vermittelt. Dadurch soll einerseits die Dialogfähigkeit der SchülerInnen trainiert und andererseits eine reflektierte Haltung zur eigenen Religion eingeübt werden, so dass Vorurteile bewusst wahrgenommen werden können.